„Hauptsache, die Hütte ist lässig und man kommt halbwegs mit dem Rad hin“
Florian Holzer ist DER Wiener Gastro-Kritiker. Woche für Woche füllt er Kolumnen für den Falter und den Kurier. Er war sofort einverstanden, als wir ihn gebeten haben, uns eine Tour zu kuratieren. Im Interview mit GG spricht er über Food Trends in Wien und Welt, über abgefuckte Bezirke und warum uns Essen eine Geschichte erzählen muss.
Du kuratierst für Gusto Guerilla eine Tour im Westen von Wien. Wie bist du ausgerechnet auf den 14. Und 15 Bezirk gekommen?
Ich bin im 14. Bezirk aufgewachsen. Früher war diese Ecke von Wien tot, in jeder Hinsicht. Deshalb war ich im Vorjahr bei der Recherche für meinen Grätzl-Bericht völlig geflasht über das, was da an neuen, frischen Lokalen aufgepoppt ist.
Viele der #wienerwirtInnen leisten Pionierarbeit, wenn sie neue Konzepte an die Stadtränder tragen. Muss man sie dafür bewundern?
In Wien ja. Der Esprit anderer Großstädte, wo es cool ist, in abgefuckte Bezirke zu gehen, ist bei uns noch nicht so ausgeprägt. Deshalb ist es immer wieder erfreulich, wenn‘s dann noch passiert, am Schwendermarkt, in der Schweglerstraße oder der Märzstraße zum Beispiel, wo mittlerweile die Post abgeht. Vor den Pionieren ziehe ich meinen Hut. Es begeistert mich, wenn die Jungen mitziehen und es ihnen scheißegal ist, wo sie hingehen, Hauptsache, die Hütte ist lässig ist und man kommt halbwegs mit dem Rad hin.
Wie wird man eigentlich Gastrokritiker?
Du musst journalistisch arbeiten wollen und Interesse am Essen und Trinken oder an Restaurants haben. Das muss nicht unmittelbar zusammenhängen. Das Restaurant ist eine komplexere Einheit, da geht es auch um Stimmungen, um Atmosphäre, um Architektur, und Sozialstrukturen. Ich finde das Gesamtmodell Gastronomie einfach interessant.
Was macht für dich gutes Essen aus?
Es muss eine interessante Geschichte erzählen und sich von der Rolle der der reinen Sättigung emanzipieren können. Ein gutes Essen weckt positive Emotionen.
Also mit Eiernockerl und Salat wird man dich nicht locken?
Wenn das Mehl ein spezielles ist und die Eier zum Beispiel von Paolo Parisi kommen, der Ziegenmilch ins Futter seiner glücklichen Hühner mischt – warum nicht. Die Geschichte dahinter muss gut sein.
„Ein guter Wirt hat Charisma und ist für seine Sache entflammt. Er hat eine Geschichte zu erzählen.“
Und was macht die gute Wirtin, den guten Wirt aus?
Ein guter Wirt hat Charisma, Feuer, ist für seine Sache entflammt. Er hat eine Geschichte zu erzählen und einen guten Grund, warum er Wirt geworden ist. Ein guter Wirt ist ein leidenschaftlicher Gastgeber und er hat eine Message, die er an seine Gäste weitergeben will.
Hast du mittlerweile einen Riecher, ob ein Gastro-Konzept aufgeht?
Ich habe mich schon oft geirrt und sehe mich auch nicht als jemand, der Prognosen abgibt. Ich bin ein Chronist für das Neue. Und die Prognose wird auch immer unwichtiger, weil du dich als Gastronom heute viel schneller neu erfinden musst als früher.
Warum müssen sich WirtInnen neu erfinden?
Millenials reagieren schneller, weil sie keine Wiener mehr sind, sondern in der Source leben, die globale Trends aufgreift. Deshalb gibt es zwei interessante Parallelwelten: Wir Boomer und unsere Kinder. Gefühlt beschleunigt sich die Welt vor allem für die Jungen.
Was ist der nächste Foodtrend?
Es gibt so viele, aber Veganismus ist sicher ein Megatrend. Eine junge Generation will sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob ihr Fleisch aus Massen- oder eh ganz okayer Streicheltierhaltung ist. Damit wollen die Kids nichts mehr zu tun haben. Für Fleischfresser wie mich gibt es so viele tolle andere Trends. Zum Beispiel XO-Fleisch von zehn Jahre alten Milchkühen, das finde ich großartig.
Läuft ein Megatrend nicht auch Gefahr, komplett industrialisiert zu werden?
Veganismus kann so viel und wird sich irgendwann vom Trend zum reinen Fleischersatz wegbewegen. Die orientalische, die mediterrane oder asiatische Küche ist derartig voll von großartigen veganen Gerichten. Und man muss sie nicht nachbauen, es reicht, sich inspirieren zu lassen und neue, selbstbewusste Speisen zu entwickeln. Das passiert ja jetzt schon.
„Es gibt Lokale, die sind nur deswegen bummvoll, weil man dort gute Selfies machen kann. Das packe ich nicht.“
Wie stehst du zur Regionalität?
Ich halte Regionalität nach wie vor für ein sehr reizvolles Thema. Allerdings hat es manchmal einen nationalen Mief. Außerdem, was bedeutet Regionalität? Ist der Vorarlberger Bergkäse hier in Wien für mich regionaler als die ungarische Paprika? Für große Handelsketten ist Regionalität oft ein Feigenblatt wie das Fairtrade-Siegel, von dem der Handel auch am Allermeisten profitiert. Es reicht eben nicht, in den Supermarkt zu gehen und regional oder bio einzukaufen, wenn man sich richtig und zukunftsträchtig ernähren möchte. Dafür muss man sich mindestens so viel mit Ernährung beschäftigen wie mit Social Media.
Apropos Social Media, dort hat sich eine gigantische Foodie-Szene etabliert. Wie stehst du dazu?
Es gibt Lokale, die sind nur deswegen bummvoll, weil man dort gute Selfies machen kann. WHAT?! Das sehe ich, aber ich verstehe es nicht und kann das auch nicht mehr nachvollziehen. Ehrlich gesagt packe ich das nicht ganz. Für mich ist das eine völlig bizarre Welt und ich hoffe, das Ganze wird entweder so schräg, dass es schon wieder lustig ist, oder es schleift sich ein.
Kochst du eigentlich selbst?
Ich koche fast jeden Tag und nicht unter drei Gänge, weil mich das einfach gut runterholt. Ich koche alles, was man als Soulfood bezeichnen kann, also super ausschaut, leicht zu beißen ist und interessant schmeckt. (lacht)
Wie stehst du zu Lieferdiensten?
Die Gemüsekiste vom Adamah oder die Sachen von Markta finde ich großartig, weil sie dir Lebensmittel liefern, mit denen du dich sonst vielleicht nicht so auseinandersetzt. Aber ich mag das Einkaufen gehen, in kleinen Bioläden oder auf Märkten. Das ist ein Erlebnis, auf das ich nicht verzichten wollen würde. Saisonalität ist mir dabei wichtig. Ich freu mich jetzt schon auf den Bärlauch. Und wenn der Spargel Saison hat, gibt es keinen Tag, an dem ich nicht Spargel koche.