Gusto-Guerilla-Radtour: Immer dem Geschmack nach
Erschienen im Standard im April 2022.
Abseits vom Zentrum, in aufstrebenden Wohnbezirken wie dem 14. oder 15. Hieb, tut sich in Wien kulinarisch einiges. Entdecken kann man die Lokal-Geheimtipps auf einer Gusto-Guerilla-Tour mit dem Rad.
Gebackene Blunzenradln auf Erdäpfel-Vogerl-Salat werden im Bio-Meisel im 14. Bezirk serviert – ein ehrlicher Wirtshausklassiker in einem ehrlichen Wirtshaus. Die Gaststube ist optisch schon etwas in die Jahre gekommen, der Service ist eher gemütlich – aber die Blunzen schmeckt hervorragend. Anfang 2020, zwei Monate vor dem ersten Lockdown, hat Michael Skorepa das Lokal übernommen, bereits seit 2016 betreibt er den Bioladen Biologos gleich ums Eck. Das habe ihn über den holprigen Start hinweggerettet, meint er, Kundinnen und Kunden, die das Geschäft schon kannten, hätten ihm die Treue gehalten und das Projekt zum Teil sogar mit Gutscheinen vorfinanziert.
Das Bio-Meisel ist nur eines der Lokale, die bei „Gusto Guerilla“ dabei sind. Die Initiative bietet verschiedene (Rad-)Gourmettouren in Wien und mittlerweile auch in Graz an. Das Konzept lässt sich in einem Satz auf den Punkt bringen: Man kostet sich entlang einer bestimmten Route durch die sorgfältig zusammengestellten kulinarischen Kostproben ausgesuchter Gastrobetriebe und entdeckt so die Stadt aus einem neuen Blickwinkel.
Die Tour „Die Besten im Westen“ verbindet insgesamt zwölf Stationen im sechsten, siebenten, 14. und 15. Bezirk, ein Gebiet, in dem sich in den vergangenen Jahren kulinarisch unglaublich viel getan hat. Die meisten Foodies klappern die Route mit dem Rad oder den Öffis ab, besonders Motivierte können sich die rund zehn Kilometer auch zu Fuß ergehen. Insgesamt sieben Stunden hat man Zeit, um alle Lokale zu entdecken. Den Hunger, den man sich so erarbeitet, braucht man auch, über den Tag verteilt kommt bei den Verkostungen nämlich einiges zusammen.
Wirte aus Überzeugung
Nach Wien gebracht hat die Idee, die andernorts schon länger umgesetzt wird, Initiator Stefan Knoll: „Das Konzept ist sehr radaffin, das hat mir gut gefallen. Man kann die Lokale auf eigene Faust entdecken und hat trotzdem ein Festival-Feeling. Es sind ja insgesamt 250 bis 300 Menschen auf der gleichen Route unterwegs.“ In der Liste der teilnehmenden Betriebe findet sich für jeden Geschmack etwas: Kaffeerösterei, Marktstand-Greißlerei, klassisches Wirtshaus, neu belebte Geschäftslokale oder hohe Patisseriekunst – das Angebot deckt wirklich alles ab, was man sich für einen gelungenen und ausgewogenen Gourmettag wünschen kann.
Ein wesentlicher Punkt bei der Auswahl der teilnehmenden Betriebe ist für Knoll deren soziale Nachhaltigkeit: „Wir richten den Fokus auf zum Teil versteckte Lokale und Geschäfte, die aber in ihrem Grätzel gut etabliert sind, die ein besonderes Konzept haben und bei denen die Betreiber wirklich dahinterstehen.“ Vor allem in den Geschäften kann man einige Schmankerln auch zum Mitnehmen finden. Es empfiehlt sich daher, nicht nur mit einem leeren Bauch, sondern auch mit einem leeren Rucksack loszustarten.
Tatsächlich sind die Wirtinnen und Wirte echte Überzeugungstäter, das merkt man in jedem einzelnen der Lokale, die ausschließlich inhabergeführt sind. Systemgastronomie und größere Ketten stehen bewusst nicht auf dem Programm. Knoll betont: „Die Teilnehmenden brennen für ihr Konzept, gehen mit ihren Ideen an die Stadtränder, in kulinarisch noch nicht so erschlossene Gegenden und Wohngebiete und leisten da echte Pionierarbeit. Ich finde, das sollte man auch in den Mittelpunkt rücken.“
Ein solcher Pionier ist etwa das Café Z in der Meiselstraße, vor acht Jahren hat es Christa Ziegelböck übernommen. Die ersten Jahre waren zäh, erzählt sie. Aber junge Familien, Kunst- und Kulturschaffende erfreuen sich mittlerweile als Stammpublikum an den stets frisch zubereiteten Gerichten. Gleichzeitig ist es Ziegelböck wichtig, niemanden zu verdrängen. Der gut erhaltene 1960er-Jahre-Charakter des Lokals sorgt dafür, dass sich hier auch ältere Damen und Herren die Cremeschnitten schmecken lassen.
Frisches Marktleben
Prinzipiell ist die Tour so aufgebaut, dass man einer klaren Route folgt, auf der sich ein Lokal an das nächste reiht. Aber man kann auch hin und her springen. Vom Café Z etwa auf den Schwendermarkt. Wo man vor wenigen Jahren noch vorwiegend nach billigem Bratfett riechende Lokalitäten gefunden hat, hat sich ein buntes Marktleben entwickelt.
Eines der Highlights dort: die Weinviertlerie. Ein echter Greißler, bei dem es (fast) nichts gibt, das weiter als 100 Kilometer nach Wien anreisen muss, alles selbst ausgesucht von Betreiber Dietmar Püringer, einem gebürtigen Weinviertler. Bei einem Achtel Grüner Veltliner und einem Verhackert-Brot erzählt er davon, wie viel Herzblut in den Produkten direkt vom Bauern steckt. Das gilt übrigens auch für die Kostproben zwei Stände weiter. Dort produziert die Marke Unverschwendet nach dem Zero-Waste-Konzept Marmeladen, Sirupe und Chutneys aus Obst und Gemüse, das den normalen Verkaufsstandards nicht entspricht.
Externes Wohnzimmer
Ein weiteres Highlight der Tour ist das Franzundjulius am Kriemhildplatz im Niebelungenviertel. Im Herbst 2019 hat Ulla Harms es in einem ehemaligen Tischlereilager eröffnet – als Ergänzung zu ihrem Buchkontor daneben. Die liebevoll hergerichtete Flügelschwingtür, die freigelegten Jugendstilfliesen, die köstlichen, frischgebackenen Kuchen und die gute Stimmung vermitteln das perfekte Zweites-Wohnzimmer-Gefühl.
Weiter geht’s ums Eck ins ideale Stammbeisl. Der Brauhund – früher in der Märzstraße, seit 2019 in der Schweglerstraße – ist ein feines Grätzellokal mit sechs verschiedenen Bieren und Cider vom Fass. Als Kostprobe werden Tacos serviert, mit Chorizo oder auch als vegetarische Variante mit Karfiol. Gefühlslage hier am Nachmittag, nach bereits einigen Stationen: tiefenentspannte Partystimmung. Man könnte hier richtig hocken bleiben, gäbe es nicht noch einiges mehr zu entdecken.
Also geht es weiter zu den Cevapcici im Sofra an der Märzstraße – ein Balkan-Schnellimbiss, der geschmacklich so viel mehr hält, als er verspricht. Herausragend: das kurz in Rindssuppe getauchte und dann gegrillte Fladenbrot. Am Abend hat man viele Kilometer in den Beinen, herrliches Essen im Bauch und ist froh, wenn man den Rest des Abends auf der Couch verbringen darf. (Pia Kruckenhauser, 25.4.2022)